Ein Interview mit der Biologin Leandra Hamann

Mikroplastik 2 L. StemperFoto: L. Stemper

Wir haben zu diesem Thema ein Interview mit der Wissenschaftlerin Leandra Hamann geführt, die bei Fraunhofer UMSICHT arbeitet.

Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) beschäftigt sich seit 2014 mit Mikroplastik in der Umwelt. Dabei liegt der Fokus auf der Entwicklung von Lösungsstrategien zur Reduzierung von Kunststoffen in der Natur.

NAJU NRW: Was ist Mikroplastik überhaupt?

Hamann: Allgemein spricht man von Kunststoffpartikeln, die kleiner als 5 Millimeter sind. Diese Grenze scheint aber wissenschaftlich noch nicht sehr gut begründet und deswegen wurde das jetzt weitgehend aufgelöst. Dem Fisch ist es letztendlich egal, ob er einen Mikroplastikpartikel verschluckt, der vier oder sechs Millimeter groß ist.

NAJU NRW: Welche Organismen leiden am meisten unter Mikroplastik in der Umwelt?

Hamann: Mikroplastik sammelt sich in aquatischen Lebensräumen, also in Flüssen, Seen und im Meer. Dort sind besonders filtrierende Organismen betroffen, weil sie sich von Nahrung ernähren, die eine Partikelform hat. Bei der Nahrungsaufnahme verwechseln sie ihr Futter dann teilweise mit Mikroplastik, das anschließend auch in der Nahrungskette transportiert werden kann. Zudem kann es ggf. auch den Darm verlassen und in andere Organe wandern. Was dann genau mit dem Mikroplastik in den Organismen passiert, weiß man allerdings noch nicht so genau und deswegen ist es auch schwierig, die vollständigen Risiken abzuschätzen.

NAJU NRW: Also kann man auch noch nicht sagen, ob der Mensch irgendwelche Schäden davon trägt?

Hamann: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es aufnehmen, weil Mikroplastik in allen Umweltkompartimenten vorhanden und sogar Teil des Hausstaubs ist. Wir atmen es ein und verschlucken es ggf. Ob das aber schädliche Wirkungen hat, das weiß man bisher noch nicht.

NAJU NRW: Obwohl die Existenz von kleinen Plastikpartikeln - auch wenn damals noch nicht von Mikroplastik gesprochen wurde - jetzt schon seit fast sechzig Jahren wissenschaftlich untersucht wird, steht das Thema erst seit wenigen Jahren wirklich im Interesse der Öffentlichkeit. Warum?

Hamann: Meiner Meinung nach liegt das vor allem an den sozialen Medien. Dort haben Berichte über gestrandete Pottwale, Schildkröten, die Strohhalme gefressen haben, viel Aufmerksamkeit erregt. Außerdem glaube ich, dass es auch daran liegen könnte, dass man nach und nach aufgedeckt hat, dass jeder von uns ein Verursacher der Mikroplastikproblematik ist. Dadurch, dass wir so viele Kunststoffe konsumieren und verwenden, entsteht viel Mikroplastik und dass das letztendlich Auswirkungen im Meer hat, bei Tieren, die wir mögen und eventuell ja auch bei uns Menschen - dieser Zusammenhang ist noch relativ neu und hat sehr viel Interesse geweckt.

NAJU NRW: Bei Mikroplastik spricht man vor allen Dingen davon, dass es auch in Kosmetikprodukten sehr häufig auftritt. Welche Alternativen gibt es denn? Bleibt uns nur die Möglichkeit, auf Produkte ganz ohne Mikroplastik zurückzugreifen?

Hamann: Als Kosmetik als Quelle für Mikroplastik aufkam, hat man davon gesprochen, dass es sich dabei nur um Peelingpartikel oder andere Reibekörper handelt. Es ist aber schwierig die Grenze zu ziehen, was Mikroplastik ist und was nicht, denn es gibt synthetische Polymere, die löslich in Kosmetikprodukten vorliegen. Eigentlich zählen zu Mikroplastik nur feste Partikel. Dennoch muss auch bei diesen davon ausgegangen werden, dass sie umweltschädlich sein können; es ist allerdings sehr schwierig zu beurteilen, welche Eigenschaften und damit auch welche Auswirkungen diese Stoffe haben. Dementsprechend schwierig ist es auch, mögliche Alternativen zu finden. Bei dem Kauf von Kosmetik- oder Reinigungsprodukten kann man aber z.B. auf den „Blauen Engel“ achten, da dieses Label Mikroplastik inzwischen ausschließt. Naturkosmetikprodukte dagegen verzichten auf mineralölbasierte Inhaltsstoffe, zu denen die Kunststoffe zählen. Allerdings können biobasierte alternative Kunststoffe ähnliche Auswirkungen und Effekte haben wie Mikroplastik oder sogar dazu zählen. Das heißt, man kann nicht pauschal sagen, dass Biobasiertes besser ist als Erdölbasiertes bzw. welche Arten von Mikroplastik besser für die Umwelt sind.

NAJU NRW: Welche Maßnahmen können kurzfristig ergriffen werden, um die weitere Verbreitung von Mikroplastik in der Umwelt zu verhindern, solange von der Regierung noch keine regulierenden Maßnahmen ergriffen werden?

Hamann: Wir können beim Einkaufen darauf achten, langlebige Produkte ohne Mikroplastik zu kaufen und generell weniger Kunststoffe konsumieren, denn jeder Kunststoff kann verwittern, Abrieb erzeugen und damit auch zu Mikroplastik werden. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Kunststoff in unserem Alltag viele wichtige Funktionen übernimmt. Es ist ein sehr wertvolles Material und dementsprechend sollten wir auch damit umgehen, es also gezielt da einsetzen, wo die Funktion wirklich gut genutzt wird und es bewusst verwenden. Wir hätten gar kein Problem, wenn die Kunststoffe nicht in die Umwelt gelangen würden. Wir sollten unseren Müll also vernünftig sortieren und entsorgen. Die Abfallsysteme hier in Deutschland sind eigentlich sehr gut, es sind meistens eher umgekippte Mülleimer etc., die dazu führen, dass das Plastik in die Umwelt gelangt. Da muss man ansetzen und diese kleinen Unfälle verhindern. Bei der Mikroplastikproblematik ist es komplexer, weil Mikroplastik primär durch mechanische Beanspruchung entsteht. An der Stelle könnte das Material optimiert werden und evtl. die Abbaubarkeit der Kunststoffe verbessert werden. Kurzfristig könnten zudem verbesserte Waschmaschinenfilter entwickelt werden, die beim Waschen entstandene Mikroplastikfasern zurückhalten. Man könnte die Straßenreinigung optimieren, sodass die Reifenabriebpartikel besser eingesammelt werden oder auch Kläranlagen weiter verbessern.

NAJU NRW: Wenn Sie über Lösungsansätze der Mikroplastik-Problematik sprechen, steht besonders das Thema Abfallmanagement im Vordergrund. Aber glauben Sie denn auch, dass in der Kunststoffindustrie selbst noch große Veränderungen stattfinden werden? Denn das eigentliche Problem ist schließlich, dass immer mehr Kunststoff produziert wird.

Hamann: Es ist sehr schwierig, zu erkennen, an welchen Schräubchen gedreht werden muss, um Abfall- und Mikroplastikemissionen zu reduzieren. Generell geht es darum, Ressourcen zu schonen und von den erdölbasierten Kunststoffen langsam auf biobasierte Kunststoffe umzusteigen. Einige Firmen gehen schon dazu über, recycelte Materialien als Verpackungen zu verwenden, um Primärressourcen zu schonen.

NAJU NRW: Sie haben einerseits von Mikroplastik gesprochen, das schon als solches in die Umwelt gelangt, z.B. aus Kosmetikprodukten, aber auch von abgeriebenem Kunststoff. Was halten Sie für das größere Problem?

Hamann: Es gibt verschiedene Einflüsse, die auf Kunststoffe einwirken, sodass Abrieb erzeugt wird, wie z.B. mechanische Einwirkung. Beispielsweise gehen Kleidungsfasern in der Waschmaschine verloren, weil sie dort stark beansprucht werden, dadurch brechen und sich ablösen. Auch Häuser, die mit Farben und Lacken auf Kunststoffbasis angestrichen sind, führen zu Mikroplastik in der Umwelt, denn durch die alltäglichen Umwelteinflüsse verwittern die Farben und Lacke recht schnell und dadurch kommen dann die Partikel, die sich ablösen, direkt in die Umwelt, weil ein Haus schließlich eine umweltoffene Anwendung ist. Wir sind eigentlich überall von Kunststoffen umgeben und wenn hier die Partikel entstehen, dann können sie Teil des Staubs werden, der ganz einfach ins Abwasser gelangt und letzten Endes trotz der Kläranlagen zum Teil in natürliche Gewässer gelangt. Wenn man sich die Mengen anguckt, dann ist insgesamt also das, was während der Nutzungsphase entsteht, deutlich mehr als das, was als Mikroplastik produziert und in Produkten eingesetzt wird.

NAJU NRW: Welche Entwicklungen bezüglich des Themas erwarten Sie von Gesellschaft und Politik in den nächsten Monaten und Jahren? Glauben Sie, dass eine Reglementierung realistisch ist?

Hamann: Ich glaube, dass in den nächsten Jahren noch vieles passieren wird. Das Thema hat so viel Aufmerksamkeit erregt, es gibt sehr viele Forschungsprojekte darüber. Auch die Politik ist hellhörig geworden, es gibt z.B. den „Roten Tisch Meeresmüll”, der Experten zusammengerufen hat, um zu beratschlagen, wie man Maßnahmen zum Thema „Plastik im Meer“ am besten umsetzen kann. Auf europäischer Ebene gibt es die Plastic Strategy. Ich gehe davon aus, dass man in den nächsten drei bis fünf Jahren noch zusätzlich viele Forschungsergebnisse bekommt, auf deren Basis entschieden werden kann, wie gravierend das Thema ist und welche Risiken Mikroplastik tatsächlich mit sich bringt. Generell wird in letzter Zeit wieder viel nachhaltiger gedacht. Politisch wird gefördert, dass die Kreislaufwirtschaft und damit die Abfallverwertung verbessert werden und es somit nicht mehr zu so viel Plastikmüll kommt. Ich bin ganz optimistisch, dass sich in der Hinsicht noch einiges verbessern wird.

NAJU NRW: Vielen Dank für das Interview, Frau Hamann!

Autorin: Jana Lork, Interview und Organisation: Lukas Stemper